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Das "gute" Geschirr

Ich muss euch von einer Kleinigkeit berichten, die mich einiger Zeit gedanklich verfolgt...

Meine Großmutter bekommt nur äußerst selten Gäste, wenige Male im Jahr, und wollte die Gelegenheit meines Besuchs nutzen, um für mich groß zu kochen. Als ich ankam, bat sie mich, ihr das „gute Geschirr“ aus dem Schrank herunterzuholen. Das würde sie ja sonst nie benutzen... Meine spontane Antwort war: „Du könntest doch auch für dich selbst gelegentlich das gute Geschirr rausholen.“ Aber wie manche Großmütter wohl sind, war ihre Reaktion reines Unverständnis. Sie hatte im Vorhinein bereits eine schöne Tischdecke aus dem Schrank gekramt und eine besondere Kerze herausgeholt. All diese Dinge waren schön anzusehen und trugen zu unserem gemütlichen Abend bei. Im Nachhinein hätte ich ihr gern die Frage gestellt, ob sie sich allein das gute Geschirr denn nicht wert sei, dass es für Monate wieder im Schrank verschwinde... Vielleicht klingt das zu hart (wäre aber lieb gemeint gewesen).

Jeder von uns hat diese Macke: Man besitzt Dinge, die man sich aufhebt für den Fall wenn. Das Geschirr nutze ich, wenn ich mal groß Gäste bekoche. Das Kleid trage ich, wenn ich mal ins Theater gehe. Die Kerze zünde ich an, wenn ich etwas Besonderes feiere… Das geht von unscheinbaren kleinen Dingen wie unbenutzten Gewürzen (wenn ich einmal etwas ganz Besonderes koche), bis hin zu großen und teuren Dingen wie monatelang in der Garage geparkten Autos (wenn wir einen richtigen Ausflug planen). Das Gegen-Mantra zu dieser Macke lautet wohl „Ich bin gut genug dafür.“

Wir heben besondere Dinge auf und nutzen sie nicht, im Glauben, sie zu schonen oder besonders zu halten. Dabei haben wir sie in erster Linie angeschafft, damit sie uns glücklich machen oder unser Leben in irgendeiner Form bereichern. Wir wünschen uns Anerkennung und Bewunderung für schöne Dinge. Oder wir glauben, dass wir uns mit ihnen besser fühlen, dass sie uns zum Lächeln bringen. Vielleicht sollten sie uns auch einfach nur den Alltag erleichtern. In unserer Vorstellung beim Kauf stehen diese Dinge jedenfalls nicht dauerhaft im Regal, sondern werden genutzt. Wenn ich Tee koche und die Wahl habe zwischen meiner schönsten Tasse und jeder anderen, warum sollte ich nicht die schönste nehmen?

Ich gebe zu, auch ich besitze „Alltagsgeschirr“ und „gutes“ Geschirr. Aber erstens finde ich beide ausgesprochen schön und zweitens verstaubt das gute Geschirr bei mir nicht im Schrank. Es wird genutzt, wenn auch nicht so häufig wie das andere, aber ja, es wird genutzt. Und zwar auch von mir allein. Wenn es mir nicht gut geht, mache ich mir einen Kakao in der schönen Tasse oder mein Partner macht mir Pudding in der Schüssel mit den Sternchen drauf… Und nein, es muss mir nicht schlecht gehen, damit ich mir selbst Gutes tue mit meinen „guten“ Dingen. Die Werbung bildet uns ein, wir bräuchten Dinge, um glücklicher zu leben. Wenn du dem schon nachgegeben hast beim Kauf hübscher Dinge, dann lass es zu und lass sie dein Leben verschönern. Du bist gut genug.


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